Monday, January 30, 2006





SPRACHGITTER
Konzept von Barbara Beisinghoff für eine Installation aus Papierfaser entlang der Zeitschneise, die Schloss Ettersburg und Buchenwald verbindet. Wörter aus Buchenzellstoff werden aufgegautscht auf Buchenstämme. Die Wörter stammen aus zehn Gedichten aus dem Zyklus SPRACHGITTER von Paul Celan. Der jüdische Dichter, 1920 in Czernowitz geboren, erlebte 1942 die Deportation seiner Eltern in ein Vernichtungslager. Sein Gedichtzyklus SPRACHGITTER entstand 1959. Celans Werkzeuge waren nach- und nebeneinander Kugelschreiber, Tinte und Bleistift, er verwendete Konzeptpapier, Briefpapier mit dem Wasserzeichen "Leykam Hartpost 1935". Die Sprachbilder und Metaphern wurden offenbar im Augenblick ihres Entstehens notiert; Gedichtzeilen in ihren ersten Formulierungen stehen zwischen Entwürfen zu Übersetzungen und wurden wiederholt in andere Kontexte gestellt. Der Autor schrieb - beispielsweise - zuerst auf der linken Hälfte eines Blatts, dann drehte er das Blatt um 90° und schrieb auf der rechten Hälfte weiter, zunächst mit Kugelschreiber, dann mit Tinte und so fort, in stetem Wechsel seiner Werkzeuge. In Celans Versen werden nach- und nebeneinander unvereinbar erscheinende Sprachbilder heraufbeschworen. "Getauchte Zeit" habe ich 2004 das Mappenwerk mit zehn Radierungen zu den zehn Gedichten Celans genannt. Auf beiden Seiten der Zeitschneise würden Wortbilder auftauchen auf den Buchenstämmen und -ästen. Ich war 1992 auf dem Ettersberg. Da gab es die Zeitschneise noch nicht.
Nach einigen Wochen wird der Regen einige Buchstaben und Wörter abgewaschen haben. Sie werden endlich abfallen und noch weiß auf dem braunen Herbstlaub zu sehen sein. Aber die Papierfasern aus Buchenzellstoff halten sich länger an der Borke fest als gedacht. Die Fotos vom "Wörtersee" datieren vom Juli bis Ende November 2004. Und bis Ende 2005 wurden noch einzelne Wörter im Darmstädter Wald gesichtet. Das Gedicht, das dem Celan-Zyklus seinen Namen gab, beginnt so:
SPRACHGITTER
Augenrund zwischen den Stäben.
Flimmertier Lid rudert nach oben,
gibt den Blick frei.
SPRACHGITTER: Diesen Arbeitstitel habe ich für die geplante Installation gewählt, weil es auch Worte aus Goethes Gedichten auf meinen kleinen Schöpfsieben von meiner Installation "Wörtersee" gibt, die ich auf die Buchenstämme auf dem Ettersberg aufgautschen möchte. Sie verschränken sich mit den Celan-Worten. Auch die Geschichte Goethes, die Geschichte des Weimarer Humanismus wird auf dem Ettersberg von der Lagergeschichte Buchenwalds überlagert.
Die Installation SPRACHGITTER bildet eine poetische und optische Irritation auf beiden Seiten des Weges. Die Wortbilder bleiben in der Schwebe. Man geht durch die Zeitschneise. Die Bewegung entwickelt einen Rhythmus. Der Weg ist ein Spaziergang, bei dem man wieder durchatmen möchte, während man nachdenkt über das , was man gesehen und gelesen hat. "Eine Leerzeile, quer durch die Glockenheide gelegt." Die Wortbilder "Wenn der Eisvogel taucht, sirrt die Sekunde", "Wirklichgesponnenes Niemals, "Glasspur rückwärts gerollt" sind keine einsinnig deutbaren Symbole; sie sind wunderschön und vieldeutig zugleich. Und diese poetischen Wörter stehen auf Bäumen geschrieben, die wachsen, die gewachsen sind seit 1945 (meinem Geburtsjahr, nach dem Krieg). Die Wortbilder aus Buchenzellstoff bilden mit dem Laub ringsherum und dem Himmel dahinter ein Ganzes.